B05Von den „Displaced Persons“ zum „Flüchtling“
Rechtlich-bürokratische Humandifferenzierung in der Nachkriegszeit
Am Ende des Zweiten Weltkriegs fanden die Alliierten in Mitteleuropa über 8 Millionen Menschen vor, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren konnten oder wollten.
Diese galten zunächst als „entortet“ (displaced), später auch als „Flüchtlinge“ (refugees), „Vertriebene“ (expellees) oder „heimatlose Ausländer“. Verbunden mit diesen Kategorisierungen war die Frage nach dem woher und wohin von staatenlosen, oft vormals deportierten oder geflohenen Menschen, nach deren Agency und „Rechte auf Rechte“ (Hannah Arendt).
Wie wandelten sich die Selbst- und Fremdzuordnungen von Schutzsuchenden außerhalb ihres Herkunftsstaats in der Nachkriegszeit? Inwiefern kamen ältere, etwa rassifizierende Kategorien aus der NS- oder Kolonialzeit oder humanitaristische und religiöse Konnotationen des Flüchtlingsbegriffs zum Tragen? Diese und weitere Fragen untersucht das Projekt am Fall des Ruhrgebiets. Es zeigt, wie sich die britische Besatzungsverwaltung, die internationalen Organisationen und die Menschen im Transit mit Mehrfachzugehörigkeit auseinandersetzten und durch ihr Zusammenwirken die generische Personenkategorie „Flüchtling“ (refugee) hervorbrachten.
Als durch von hoher Mobilität geprägte Region steht das Ruhrgebiet der Nachkriegszeit für einen Verdichtungsraum sich überlagernder Selbst- und Fremdzuordnungen. Infolge der Weltkriege und der neuen Grenzziehungen im 20. Jahrhundert wurde räumliche Mehrfachzugehörigkeit zu einem grundlegenden Problem für unzählige Menschen. Die daraus resultierenden Konflikte um Selbst- und Fremdzuordnungen hatten erhebliche Wirkungen - so auf die Etablierung unseres heutigen Flüchtlingsbegriffs und die politischen Selbstverständnisse von Schutzsuchenden.