Leitunterscheidungen pandemischer Humandifferenzierung. Eine Chronik
Stefan Hirschauer | Clara Terjung
Der Aufsatz untersucht die Corona-Pandemie in der Theorieperspektive der Humandifferenzierung. Er stellt im Format einer Chronik den zeitgeschichtlichen Wandel der Leitunterscheidungen und sprachlichen Kategorien für Menschen dar, die sich im Verlauf von drei Jahren der Pandemie etablierten. Im Zentrum des Interesses steht der Übergang von der Differenzierung Infizierter und Nicht-Infizierter (d. h. Gefährder und Gefährdeter) zu jener von Geimpften und Ungeimpften sowie die kategorialen Verzweigungen dieser beiden Leitunterscheidungen. Diese Analyse des ethnosemantischen Wandels gibt Einblick in die Neustrukturierung der „socio-mental maps“ während der Pandemie. Der Beitrag rekonstruiert zuerst die Entwicklung der Leitunterscheidungen sowie die semantische Verschiebung ihrer Kategorien. Es folgt eine Analyse, wie das Problem der Identifizierung der Infizierten gesellschaftlich bearbeitet wurde, von der Fremddetektion in Laboratorien über den häuslichen Selbsttest bis zur Zertifizierung an öffentlichen Passagepunkten. Den dritten Fokus bildet das Spezialverfahren der Triage. Die These des Beitrags lautet, dass die tiefgreifende Restrukturierung des gesellschaftlichen Personals während der Corona-Pandemie ihr Bezugsproblem in einem für Humandifferenzierungen ganz untypischen tiefen Unwissen über die neuen kategorialen Zuordnungen sowie deren hochgradige Ambiguität hatte.
Hirschauer, Stefan; Terjung, Clara 2024: Leitunterscheidungen pandemischer Humandifferenzierung. Eine Chronik. Berliner Journal für Soziologie 2024 (1).