Kulturelle Un/Gleichheit

18. January 2025
Prof. Dr. Stefan Hirschauer

Jede Unterscheidung erzeugt in einem Zug Gleichartiges und Ungleichartiges. Sie schafft in einer diffus begrenzten Menge (z.B. einem Haufen Puzzleteile) zwei neue Einheiten, deren Einheitlichkeit sie behauptet. Sie bringt damit eine doppelte Ordnungsleistung: Einerseits differenziert und spezifiziert sie die Mengen auf ihren beiden Seiten (z.B. als heller oder dunkler), andererseits egalisiert und versämtlicht sie die Elemente auf jeder ihrer Seiten (als die Hellen und die Dunklen). Unterscheidungen machen die Dinge also sowohl unterschiedlich als auch gleich, sie haben eine differenzierende Vorderseite und eine gleich-macherische Kehrseite. Wenn Menschen zwischen sich Unterscheidungen machen, vollziehen sie reziproke Vergleichsoperationen, in denen sich beide Seiten als Subjekte wie Objekte der Unterscheidung in Relation setzen: als älter oder jünger, geschlechtsgleich oder –ungleich, ranggleich oder -ungleich, bekannt oder unbekannt etc. Jede Unterscheidung stiftet dadurch eine grundlegende kulturelle Un/Gleichheit zwischen Menschen. Sobald sie sich in einer praktischen Vergleichshinsicht unterscheiden, gehen sie Beziehungen als Gleiche oder Ungleiche ein, sie setzen sich homosozial gleich oder verabstanden sich in heterosozialen Gesellungsformen (Interaktionen, Gruppen, Netzwerken).