Grenzbildung und Polarisierung

23. January 2025
Prof. Dr. Stefan Hirschauer

Soziale Grenzen wachsen auf der Basis von Alterisierungen und Segregationen. Es sind stark institutionalisierte und sozial kontrollierte Unterscheidungen, deren Querung nur mehr an Kontrollposten, also ihrerseits begrenzten Durchlässen, möglich ist. Grenzen bilden sich durch Prozesse sozialer Schließung, Vereinnahmung und Gemeinschaftsbildung nach innen, sozialer Distanzierung, Marginalisierung und Exklusion nach außen. Grenzen erlauben die Konstitution von Gesellungsformen und großen gesellschaftlichen Formationen und können im Rahmen friedlicher Koexistenz oder Konkurrenz stabilisiert werden. Zur Polarisierung kommt es, wenn sich an ihnen Konfliktstoffe und Gewalterfahrungen anlagern, aus Konkurrenten oder Fremden Feinde werden und antagonistische Gemeinschaften entstehen. Auch hier wirkt die diskursive Versämtlichung der anderen Seite: Alle Politisierung und Moralisierung verschärft Unterscheidungen im Sinne einer binären Logik, die Lager entwirft und ambivalenzfrei nach gut und böse, Freund und Feind unterscheidet. Und wieder gilt: Je strikter deren Differenzierung, desto massiver die Versämtlichung beider Seiten. Unterscheidungen machen eben sowohl gleich als auch ungleich.