Entdifferenzierung und Indifferenz
In der longue durée kann die gesellschaftliche Relevanz einer Differenzierung zwischen Menschen noch weiter abgebaut werden. Die Deinstitu-tionalisierung einer Differenzierung besteht aus ihrem Herausdrängen aus sie stabilisierenden Sinnschichten (z.B. aus Gesetzestexten, räumlichen Strukturen, Verhaltensgewohnheiten) und ihre Verschiebung in flüchtigere Prozesse: etwa interaktives Aushandeln statt institutioneller Regeln, diskursive Verflüssigung statt habitueller Routine. Weder Prozesse der Deinstitutionalisierung noch situative Undoings oder normative Inhibierungen verunmöglichen eine Unterscheidung, sie machen es nur unwahrscheinlicher, dass sie stattfindet und wahrscheinlicher, dass sie misslingt. Entdifferenzierung einer Unterscheidung bedeutet Vermehrung von Situationen der Ununterschiedenheit. Verhalten sich Menschen distanziert und ungebunden gegenüber ihren sozialen Zugehörigkeiten und unterbinden Institutionen Unterscheidungen, gerät eine Differenz in den Schwebezustand der Indifferenz. Es entsteht eine liminale Zone zwischen Differenziertheit und Differenzlosigkeit. Sie besteht nicht aus einer ambiguen Ununterscheidbarkeit (also in Kategorisierungsproblemen), sondern aus der normalisierten Unfähigkeit, eine Unterscheidung noch an Personen festzumachen. Dann wird sie nicht nur sozial folgenloser, auch ihre elementare Durchführung wird sowohl schwieriger als auch uninteressanter.