Undoing Differences und Differenznegation

14. Januar 2025
Prof. Dr. Stefan Hirschauer

In dem Maße, in dem Unterscheidungen praktisch vollzogen werden, können sie auch unterbrochen oder eingestellt, soziale Zugehörigkeiten also deaktiviert werden. So wie Mitgliedschaften von Karteileichen in einer Organisation ruhen und Zugehörigkeiten im Selbstverständnis einer Person niedrig rangieren können, schlummern Unterscheidungen in sozialen Prozessen, für deren Vollzug sie irrelevant sind. So kann die soziale Praxis etwa Altersgruppen unterscheiden, sie aber auch zugunsten anderer Differenzen ununterschieden lassen. Dieses situative Undoing von Unterscheidungen (ob als proaktives Herunterspielen und Stillstellen oder reaktives Unterbinden und Abweisen) wird durch stärker institutionalisierte Prozesse der Differenznegation unterstützt. Hierzu zählt die Überblendung in der fortlaufenden Verdrängungskonkurrenz von Unterscheidungen, die durch explizite Subordination (von X zugunsten von Y) forciert werden kann, indem Teilsysteme oder Organisationen Unterscheidungen klar priorisieren (etwa die Leistungsdifferenzierung auf Kosten aller anderen). Humandifferenzierungen können aber auch generell inhibiert und aus dem Spiel gedrängt werden. Dies leisten Unterscheidungsverbote wie rechtliche Gleichheitsnormen und Antidiskriminierungsgesetze oder professionelle Neutralitätsgebote, die soziale Zugehörigkeiten zugunsten sachlicher Unterscheidungen ausschalten sollen – exemplarisch: die programmatische ‚Blindheit‘ von Justitia gegen (für Schuldfragen) sachfremde Personenmerkmale.