Conference

Normen der Berührung

Intimität in Theater und Dienstleistung

24. July – 25. May 2025
Rewi HS VII

Normen der Berührung. Intimität in Theater und Dienstleistung


"Heute wird es intim", ruft die Popsängerin Mine ihrem Konzertpublikum zu. Die Aussage wird mit Begeisterung aufgenommen. Doch was impliziert das Versprechen der Sängerin eigentlich? Will sie ihre innersten Gefühle preisgeben, ihren Körper nackt ausstellen oder vielleicht sogar auf einer sexuellen Ebene ihr Publikum berühren und so den Rahmen durchbrechen? Dieses kurze Beispiel verdeutlicht: Was Intimität ist, ist eine situationsbedingte Auslegungssache. 

Intimität kann zum einen Momente der Vertrautheit, Verbundenheit und Geborgenheit bedeuten. Sie äußert sich dann in wischenmenschlichen, privaten Beziehungen oder im bewussten Zeigen von intimen Körperregionen, die einer Öffentlichkeit gemeinhin verborgen sind (Klein 2022). Zum anderen kann Intimität jedoch ebenso etwas sein, das in professionellen Beziehungen entsteht (Buschmeyer/Tolasch 2014), z.B. bei einem Friseurbesuch, im Tattoostudio, oder eben im Theater: Denn wie Mines Aussage suggeriert, kann die Dichotomie von Privatheit und Öffentlichkeit, die den Intimitätsbegriff im Allgemeinen prägt, im künstlerischen Kontext und insbesondere in immersiven Performances infrage gestellt werden.
Wenn professionelle Intimität – z.B. im Dienstleistungssektor – etwas ist, das hergestellt werden muss – durch die richtige Art von Berührungen, durch die Wahrung einer Hülle, durch ein passendes Setting –, so ist sie abhängig von einer konzeptuellen
Planung, die den Vertragscharakter zwischenmenschlicher Beziehungen hervorhebt (Warstat 2018). Dieser Vertragscharakter nimmt insbesondere im Hinblick auf Intimität eine bemerkenswerte Stellung ein, da der Intimitätsbegriff im Allgemeinen häufig mit Privatheit assoziiert ist. Intimität ist also geprägt von inkorporiertem Hintergrundwissen (Reckwitz 2008), von Normen und als selbstverständlich angenommenen Normalitäten (Zerubavel 2018) sowie von Fragen der Professionalität und Unprofessionalität (Buschmeyer/Tolasch 2014).

Die Verhandlung von Intimität im Hinblick auf Theater – auf, hinter sowie vor der Bühne – ist dabei ein spezifischer Fall, der einer Sondierung bedarf: Fragen nach (professioneller) Intimität werden insbesondere in den Situationen relevant, in denen der Körper im Zentrum steht. Zudem stellt das Theater einen institutionellen Rahmen her, in dem professionelle Intimitäten geplant und verhandelt werden. Dabei wurde in der Theaterwissenschaft die politische Dimension von Intimität nur rudimentär gestellt, obwohl in den letzten Jahren immersive Theaterarbeiten die traditionelle Rollenverteilung von Zeigenden und Schauenden durchbrochen, Zuschauer*innen zu involvierten Akteur*innen erhoben (Kreuder 2017) und so auch deren Körper und Intimitäten zur Debatte gestellt haben. Diese Intimisierung des Publikums zielt dabei insbesondere in immersiven Performances auf den einzelnen privaten Teilnehmer*innenkörper selbst. Zum einen kommt es so zu Momenten, in denen der Körper der Theatersituation ausgesetzt ist. Zum anderen kann es jedoch auch zu Momenten einer gemeinschaftlichen Urteilsbildung kommen (Kreuder 2021).

Damit weist nicht nur der Intimitätsbegriff eine Bedeutungsdichotomie auf (privat/öffentlich), sondern die Intimisierung des Publikums kann auch in eine Krise führen; ein Begriff, der in etymologischer Betrachtung ebenso auf zwei unterschiedliche Zustände verweist: Der Krisenbegriff zielt sowohl auf den einzelnen Körper in schwerer Krankheit als auch auf den politischen Prozess der Rechtfindung (Koselleck 1976, Tsouyopoulos 1976). Insbesondere die Auffassung von Intimität als planbarer Zustand steht dabei in engem Verhältnis zum Verständnis der Krise, wie er sich mit der Moderne entwickelte: „Mit der Erfahrung des Verlusts verbindlicher Norm […] verfestigt sich der Impetus, neue Ordnungen zu erzeugen, die wiederum permanenter Kritik ausgesetzt sind, neu geschaffene Ordnungen werden so zu Krisenordnungen.“ (Famula/Witschel 2022, XII). So kann es auch in Situationen professioneller Intimität zu Krisen kommen, sind doch Situationen professioneller Intimität von Normalitäten und Normen geprägt, und treten doch diese Normen erst in der Krise als solche hervor (Koschorke 2018).

Doch wie erweitern intime performative Arbeiten diese Beobachtung um Normen der Berührung? Die Performerin Monika Truong beispielsweise castet in ihrer Arbeit „Motherhood II“ kulturschaffende Mütter, die die Arbeitsstelle „Mutter“ an verschiedenen Gastspielorten antreten. Sie performen die Tätigkeit im Loop und als effektive Lohnarbeit. Sibylle Peters hingegen thematisiert Intimität auf körperlicher Ebene durch die Gründung des „Queens. Der Heteraclub“: einem Club „nur für Frauen, die Männer begehren“. In One-on-One-Performances sind intime Begegnungen mit den Performern* für die Zuschauerinnen* möglich.

Beide Arbeiten zeigen exemplarisch die politischen Dimensionen von Intimität auf: indem Mutterschaft auf der Folie einer ökonomisierten Leistungsgesellschaft reflektiert wird, oder der Arbeitsbereich der Prostitution durch eine Umkehrung der Geschlechterverhältnisse zum Ort sexueller Selbstermächtigung erklärt wird. Mit den oben genannten Aspekten, Beispielen und Fragen möchten wir die Teilnehmer*innen einladen, anhand von drei Themenfeldern eigene Fragestellungen und Perspektiven einzubringen:

(1.) Die politischen Dimensionen von Intimität: Im Rahmen des Symposiums wollen wir nach den politischen Dimensionen von Intimität in immersiven Theaterperformances fragen. Wie tritt das Private als politischer Raum in Erscheinung und wie können normalisierten Erwartungshaltungen als inkorporiertes Hintergrundwissen reflektiert werden? Welche Krisen des Außen treten im Theater und in den Küchen, Wohn- und Schlafzimmern ans Licht und welche theaterspezifischen Konflikte können aus der Linse des Intimitätsbegriffs problematisiert, kontextualisiert und historisiert werden?

(2.) Intimität und Krise: (Professionelle) Intimität kann sowohl auf individueller, leiblicher Ebene eine Krise bedeuten als auch auf einen gesellschaftlichen, politischen und krisenhaften Prozess verweisen. Zudem können die Grenzen professioneller Intimität subtil überschritten oder gewaltsam übergangen werden. Sie berühren Fragen nach der Asymmetrie von Machtverhältnissen, der Un-/Sichtbarkeit von Care-Arbeit bzw. dem Handel mit intimen Beziehungen als Prekarisierung bestimmter Arbeitssubjekte (Gutiérrez-Rodríguez 2014). Immersives Theater bedeutet dabei nicht immer gleich Krise (Warstat 2018), aber es verdeutlicht doch die Krisen außerhalb des Theaters und bringt Bewältigungsstrategien vorschlagsweise vor (Famula/Witschel 2022).

(3.) Intimität und Humandifferenzierung: Intime Momente sind stets auch von Dynamiken der Humandifferenzierung geprägt (Hirschauer 2017): Wie beeinflusst die stetige praktische Differenzierung von Menschen professionelle Intimität sowie das Aufrechterhalten oder den Kollaps zwischen Öffentlichem und Privatem, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Professionalität und Unprofessionalität?